Früherkennung in der Kieferorthopädie
Bereits im Alter von ca. 5-9 Jahren kann im Rahmen einer Frühbehandlung die Entstehung bzw. Weiterentwicklung von Gebissfehlentwicklungen oder ausgeprägten Zahnfehlstellungen verhindert werden.
In einigen Fällen kann man bereits im Kindergartenalter erkennen, dass zukünftig Bedarf für eine kieferorthopädische Behandlung bestehen wird. Aus diesem Grund ist eine frühzeitige kieferorthopädische Beratung sinnvoll.
Spätestens nach dem Zahnwechsel der Frontzähne, im Alter von ca. 6-8 Jahren, sollten Kinder zur Kontrolle einen Kieferorthopäden aufsuchen. In dieser Altersgruppe ist nicht nur die Gesunderhaltung der Zähne wichtig, sondern auch die Zahnstellung und die Position von Ober- und Unterkiefer zueinander haben einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung und das Wachstum des Kiefers. Zu diesem Zeitpunkt kann noch ein großer Einfluss auf die Entwicklung des Kiefers und der Zähne genommen werden. Häufig werden Eltern bereits vom Zahnarzt darauf hingewiesen, dass eine kieferorthopädische Behandlung nötig sein wird.
Neben angeborenen Fehlstellungen können Zähne und Kiefer auch durch schädliche Gewohnheiten, sogenannte Habits, wie Daumenlutschen, Nägelkauen, Lippeneinlagerung und Wangenbeißen nachteilig verändert sein.
Häufig sind Zungenfehlfunktionen, wie ein „falsches“ Schlucken oder Lispeln (Sigmatismus), der Grund für einen „offenen Biss“. In diesem Fall ist eine enge Zusammenarbeit mit einem Logopäden sinnvoll.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem Hals-Nasen-Ohrenarzt kann nötig sein, wenn die Nasenatmung schlecht funktioniert. Oftmals haben Kinder mit einer erschwerten Nasenatmung einen Schmalkiefer, der wiederum der Grund für Zahnengstand, Platzmangel oder einen seitlichen Kreuzbiss sein kann.
Zu den Behandlungsindikationen für eine Frühbehandlung gehören:
- Ein ausgeprägter Platzmangel für die permanenten Zähne, die dadurch am Zahndurchbruch in der korrekten Position gehindert werden.
- Ein einseitiger oder beidseitiger seitlicher Kreuzbiss, wenn der Zahnbogen im Oberkiefer zu schmal im Verhältnis zum Unterkiefer-Zahnbogen ist.
- Eine Progenie, bei welcher sich der Unterkiefer unverhältnismäßig stark entwickelt und die Schneidezähne im Unterkiefer vor den Schneidezähnen im Oberkiefer stehen.
- Einzelne Zähne, die in der Front im „umgekehrten frontalen Überbiss“ stehen, wenn ein Oberkiefer-Schneidezahn hinter den Schneidezähnen des Unterkiefers steht.
- Ein frontal offener Biss, bei dem die Schneidezähne nicht mehr zusammenbeißen können. Der Grund für die Entstehung eines offenen Bisses kann z. B. Daumenlutschen oder ein zu langer Gebrauch des Schnullers sein. Auch Sprachstörungen, wie Lispeln, und Zungenfehlfunktionen, wie ein falsches Schluckmuster („viszerales Schluckmuster“), können Gründe für einen offenen Biss sein.
- Ein seitlich offener Biss, bei dem seitliche Zähne nicht mehr aufeinanderbeißen und der durch Wangenbeißen (schlechte Angewohnheiten, „Habits“) entstehen kann.
- Vorzeitige Entfernung von Milchzähnen, wenn ein kariöser Zahn nicht mehr mit einer Füllung versorgt und dadurch erhalten werden kann. Damit der Platz durch Wanderung der Nachbarzähne in die Lücke nicht verloren geht, muss eine Spange während der Nacht als Platzhalter („Lückenhalter“) getragen werden.
Die Dauer einer kieferorthopädischen Frühbehandlung ist vom Ausprägungsgrad der Zahn- und Kieferfehlstellung abhängig und variiert dadurch von Patient zu Patient. In den meisten Fällen kann in 1,5 Jahren bei guter Mitarbeit der Patienten ein sehr guter Behandlungserfolg erzielt werden.
Es kann aber sinnvoll sein, bei bestimmten Fehlstellungen oder Fehlbissen weiterhin nachts die Spange zu tragen, um ein Rezidiv (Rückfall) zu vermeiden und die Situation zu stabilisieren.